Monday, February 15, 2016

Kwame

Als Kwame aufwacht, ist er voellig desorientiert. Er weiss nicht, wo er ist - es ist so still. Diese Stille kennt er nicht. Wenn er aufwacht, morgens meist vor 6 Uhr, dann ist das Leben um ihn herum in vollem Gang.

Die Kennedy Road (Slum in Durban) schlaeft nie.

Immer kommt jemand, immer geht jemand.

Heute ist es still. Und hell.

Ach ja, er ist im Krankenhaus. Sogar im Einzelzimmer. Aber nicht, weil er zu den Reichen gehoert - wahrscheinlich aber wegen der Handschellen an seinem rechten Handgelenk.

5 Jahre frueher.

Auf dem Land geht nichts, keine Perspektive. Die kleinen Felder von Kwames Familie bringen kaum das ein, was zum taeglichen Leben benoetigt wird. Seine beiden grossen Brueder sind schon in die Stadt gegangen, beide nach Cape Town.

Aber Cape Town ist kein Zuckerschlecken. Die Stadt mit der hoechsten Kriminalitaetsrate in ganz Afrika.

Kwame ist 20 Jahre alt. Er war sogar ein paar Jahre in der Schule, aber da bei der Feldarbeit viele Haende noetig sind, war er nicht oft in der Schule.

Dafuer aber oft bei der alten Tankstelle am Ortsrand, da wo die Jugendlichen sich treffen und auch mal ein Bier trinken. Und da, wo Hoffnung geschuert wird.

Einer hat gehoert, in Durban ist es viel besser als in Cape Town. Viele Reiche leben dort, viel Arbeit, gutes Klima...

Wieder im Krankenhaus. Sein Knie schmerzt immer noch sehr, das ganze rechte Bein ist in Gips. Sprechen geht auch nicht und schlucken tut noch hoellisch weh.

4 Jahre frueher.

Es ist vieles gut gegangen. Kwame hat Arbeit in Durban, hat ein eigenes Zimmer und kann Geld an seine Familie schicken. Nicht viel, aber mehr als die meisten, die in die Großstadt gezogen sind.

Auch wenn der alte weisse Mann mit den weissen Haaren jeden hier "Kaffer" nennt, ist er doch gar nicht so uebel. Er behandelt seine Leute gut und er zahlt nicht schlecht - was er so von den anderen in der Kneipe gehoert hat.

Angefangen hat er vor knapp einem Jahr hier, als Junge fuer alles. Abwaschen, Muell, Lager auffuellen, Putzen. Harte Arbeit. Aber jeder hier hat hart gearbeitet, auch der alte weisse Mann.

Jetzt hilft er schon aus beim Kochen manchmal. Der alte weisse Mann meinte, dass er sich gar nicht schlecht macht und vielleicht mal ein guter Koch aus ihm wird. Seine Mutter ist jedenfalls unglaublich stolz auf ihn.

Wieder im Krankenhaus - dann drei Wochen zurueck.

Er hat gehoert, dass der alte weisse Mann mit den weissen Haaren gestorben ist. Ein wenig Wehmut erinnert ihn zurueck an die zwei Jahre in der Kueche des Restaurants. Aber nicht allzu viel. Hat ihn der weisse Mann nicht einfach so rausgeworfen? Das ist jetzt die Strafe dafuer. Naja, einfach so hat er ihn auch nicht rausgeworfen...

Seit einer Woche nun streift Kwame immer mal wieder um das Haus des alten weissen Mannes herum. Er kennt inzwischen den Rhythmus des Wachteams in der Gegend. Und er weiss, wo er sich verbergen kann, wo er nicht gesehen wird. Hier in dieser Gegend darf er nicht entdeckt werden. Nicht so einer wie er, aus dem Slums.

So ein riesiges Grundstueck! Und Kwame lebt im Slum, mit 3 anderen Maennern in einem stinkenden Raum ohne Licht, ohne  Fenster, ohne Wasser. Nicht mehr lange...

Wieder im Krankenhaus. Kleine Maedchen. Wegen 2 kleinen Maedchen liegt er jetzt hier.

3 Jahre frueher. Alkohol trinkt Kwame inzwischen wie Wasser. Jeder hier trinkt Alkohol. Geld schickt er schon lange keines mehr nach Hause. Seit er jeden Tag in der Kneipe ist - meist in den fruehen Morgenstunden nach der Abendschicht in der Kueche.

Heute aber ist Kwame richtig sauer! Der alte weisse Mann hat ihm gesagt, wenn er weiter so unpuenktlich ist und weiter so unmotiviert, dann geht das nicht mehr lange gut. Was will der alte Mann denn? Soll er sich noch mehr abschuften in der Kueche? Klar verdient er inzwischen mehr als frueher, mehr als seine beiden Brueder in Cape Town zusammen. Trotzdem kann er nicht mal mehr Geld zu seiner Mutter schicken!

Aber gleich kommt der duenne Kerl mit dem Anzug, der jeden Abend fuer eine Zeit vor der Kneipe wartet und seine Kunden bedient. Heute wird sich Kwame auch von ihm bedienen lassen!

Dreimal hat sich Kwame an diesem Abend bedienen lassen. Das Crack ist nicht so teuer und es ist guuuuut. Die Welt ist soweit weg von Kwame! Warum hat er das nicht schon frueher probiert?

Wieder im Krankenhaus. Ein Anwalt war da - billiger Anzug und gestunken hat er auch noch. Naja, weniger als Kwame wahrscheinlich, bevor er ins Krankenhaus gekommen war. Mindestens 5 Jahre, meinte der Anwalt. Und das sei sehr optimistisch.

Optimistisch war Kwame in letzter Zeit nur ein einziges Mal. Vor einer Woche. Als er beschloss, in das Haus von dem toten alten weissen Mann einzubrechen. Dann wird sich sein Leben aendern, dachte er. Dann zahlt er erstmal seine Schulden bei dem duerren Kerl mit Anzug, sucht sich eine Wohnung und eine ordentliche Arbeit. Oder er verkauft auch Crack. Weil mit Arbeit sieht es auch nicht mehr so gut aus in Durban - immer mehr junge Leute aus dem Land kommen in die Stadt.

3 Jahre frueher. Der alte weisse Mann hat ihn rausgeworfen. Nur weil er einen Tag nicht zur Arbeit gekommen ist. Was soll er jetzt machen? Wie soll er das Crack bezahlen?

Wieder im Krankenhaus - dann zwei Tage zurueck.

Kwame beobachtet das Haus des alten weissen Mannes. Heute ist es soweit. 3 Uhr morgens und das Haus ist noch genauso still und dunkel wie vor 2 Wochen - wird wohl noch eine Weile leer stehen. Einsteigen, durchsuchen, Tasche voll machen, wieder raus. Easy peasy lemon squeezy.

...

Wir sind seit mehr als einer Woche in Suedafrika und haben uns schon gut eingewoehnt. Das Haus ist gross genug fuer uns alle und es ist tolles Wetter. Auch wenn der Anlass - der Tod meines Vaters vor 2 Monaten - nicht so schoen ist, so versuchen wir doch, eine gute Zeit zu haben.

Weihnachten ging auch glimpflich vorueber und wir unternehmen viel. Abends wird oft draussen gegrillt - meine Kids finden das klasse, waehrend ihre Freunde im kalten England frieren.

Wir gehen meistens frueh ins Bett und schlafen wie die Engel.

Nummer 2 ist so ein wenig ein Spezialfall. Schon als kleines Kind ist sie immer nachts ein paarmal aufgestanden und wollte was trinken. Macht sie natuerlich inzwischen lange alleine - meist nimmt sie nur ein paar Schluck Milch aus dem Kuehlschrank und legt sich dann wieder hin.

So auch heute Nacht. Nummer 2 steht auf, kennt sich aber noch nicht so gut aus und knallt erstmal gegen eine Kommode - natuerlich holt sie sich einen Rueffel von Nummer 1 ab, die im gleichen Zimmer schlaeft und dabei aufwacht.

Nummer 2 geh also runter in die Kueche - Licht macht sie nie an und barfuss ist sie absolut nicht zu hoeren.

So steht sie in der Kueche und trinkt im Dunkeln ihre Milch als ploetzlich jemand in die Kueche kommt. Sie sieht ihn nur als Kontur gegen das Fenster im Eingang - ein Baseballschlaeger im Anschlag. Offenbar sieht er sie im selben Moment und ruft aus Schreck irgendwas in einer Sprache, die Nummer 2 nicht versteht, deren Klang sie aber kennt - auf jeden Fall eine der Tribe-Sprachen.

"EINBRECHER" bruellt sie und wirft ihm die Milchflasche ins Gesicht. Gleichzeitig stuermt sie auf ihn zu und tritt ihm das Knie weg - im wahrsten Sinn des Wortes. Leider hat er da aber schon den Baseball-Schlaeger mit Wucht geschwungen und Nummer 2 kann den Schlag nur muehevoll mit dem Arm abwehren. Gleichzeitig weiss sie, dass der Arm kaputt ist.

Erstmal entwaffnen, denkt Nummer 2 und tritt nach dem Arm mit dem Baseballschlaeger. Der Einbrecher liegt inzwischen am Boden, ist aber noch lange nicht am Ende. Und so schafft er es noch, einen heftigen Schwung mit dem Schlaeger gegen die linke Seite von Nummer 2 zu landen.

Waehrend ich jetzt gerade erst so richtig aus dem Bett bin und noch wach werde, ist Nummer 1 inzwischen unten. Sie war noch wach von dem Krach mit der Kommode.

Nummer 1 fackelt nicht lange herum - das ist nicht ihre Art. Sie erkennt die Situation - ihre Schwester sieht nicht gut aus und liegt am Boden und ein kraeftiger junger Mann rappelt sich gerade wieder auf.

Nicht gerade karate-like aber "das hat sich so angeboten" nimmt sie den Kehlkopf des Einbrechers als Fussball und haut voll rein. Kehlkopf eingedrueckt ist eine unfeine Sache. Der Betroffene bekommt keine Luft mehr und geraet in absolute Panik. Schlaegt um sich und ist nicht zu beruhigen.

Nummer 1 weiss das vom Karate begleitenden medizinischen Training und haelt uns alle auf Abstand - Nummer 3 und 4 kommen gerade an. Ich bin sowieso bei Nummer 2 und versuche rauszufinden, was los ist. Arm gebrochen ist klar, aber irgendwas ist mit dem Oberbauch, linke Seite. Starke Schmerzen - nicht gut. Ich rufe 10111 (Polizei) und sicherheitshalber danach noch 10177 (Rettung).

Inzwischen ist der Einbrecher bewusstlos und Nummer eins drueckt den Kehlkopf ein wenig raus - Luft geht wieder durch, aber der Einbrecher bleibt bewusslos.

Polizei und Rettung kommen recht schnell und fast gleichzeitig. Nummer 2 wird erstversorgt aber jetzt schon ist klar, dass da was nicht in Ordung ist. Ich also mit ihr ins Krankenhaus - Polizei bleibt natuerlich erstmal hier und der Ex-Partner von meinem Vater im Restaurant wird auch bald mit Familie hier sein.

Der Armbruch ist zum Glueck nicht gefaehrlich - also keine Gefaesse zerstoert, aber die Milz ist gerissen und verliert sehr viel Blut. Notoperation startet nur wenige Minuten, nachdem im Utraschall die Diagnose klar war - nach den starken Schmerzen im Oberbauch und der Verhaertung wurde das schon vermutet.
Endlos spaeter (ich habe kein Zeitgefuehl mehr) kommt der Arzt und gibt erstmal vorsichtig Entwarnung. Die Milz war zwar nicht mehr zu retten aber die Blutung ist gestoppt. Blutreserven waren vorhanden und obwohl sie sehr viel Blut verloren hat, sei sie erstmal stabil meinte er.

Das muss ein maechtiger Schlag gewesen sein - auch der auf den Arm. Den wollen sie jetzt richten. Sowas sieht er normalerweise bei ueberfahrenen Kindern, sagt er. Ich gratuliere ihm zu seiner Sensibilitaet und frage, wie es weitergeht. Es ist eine Drainage im Oberbauch, die Blut und andere Fluessigkeiten aufnimmt. Muss ein paar Tage drinbleiben und so lange bleibt sie auf der IS.

Natuerlich bin ich bei ihr als sie aufwacht. Sie schaut ganz gross und das erste was sie sagt war: "Haben wir ihn?"

Meine kleine Heldin, noch nicht mal ganz 8 Jahre alt.

Heute nachmittag kommt der Gips ab. Nummer 2 ist wieder fit und hat schon wieder mit leichtem Training angefangen. Nummer 1 ist unheimlich stolz auf "ihre" Nummer 2. Wie wir alle!




4 comments:

  1. Das ist wie in einem ganz überzogen, schlechten Film. Unfassbar, was euch da passiert ist!
    Und ihr wollt wirklich wieder in das Haus deines Vaters?
    Ich wünsch Nr. 2 weiterhin gute Besserung! Sie ist ein echter Kerl :-)
    Alles Liebe Babsy

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    1. Weil's wie ein schlechter Film war hab ich's so geschrieben...
      Ja, jetzt ist das Haus besser gesichert. Aber fuer immer da Leben? Nein.

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  2. Und die Moral von der Geschicht: Beiß nicht die Hand, die dich füttert!

    Ich finde es unglaublich erschreckend und auch undankbar, wie sich ein Mensch so entscheiden kann. Und das gerade der Ex-Koch von deinem Vater so eine Nummer abzieht, zeigt leider den wahren Charakter. Sowas ist einfach nur hinterhältig und mies. Aber oft ist ja dann die "Armut" die einfachste Ausrede für die eigenen Schandtaten....

    Nummer 1 und Nummer 2 sind beide sehr mutig und wehrhaft. Natürlich hat so eine Selbstverteidigung immer 2 Seiten. Man will sich gar nicht ausdenken, was mit einer Schusswaffe hätte passieren können.
    Ich glaube das muss der große Papa-Wolf mal ein Wörtchen wechseln mit den beiden Helden. Natürlich ist es super, dass der Typ gleich gefasst wurde (auf frischer Tat), aber sein wir mal ehrlich: Kein Geld der Welt (oder Ware) ist es wert, dafür zu sterben. Da hätte ich mich ganz schnell aus dem Staub gemacht (wenn man nicht direk angegriffen wird)...

    Man man man, das war mal wieder Action bei euch.

    Hast du Kwame besucht oder gesprochen?



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    1. Besucht habe ich ihn nicht - so ein perfekter Mensch bin ich nicht, dass ich das koennte. Aber der ehemalige Partner meines Vaters hatte das von der Polizei erfahren und mir erzaehlt. Und mir von ihm erzaehlt. Traurige Geschichte - wie so viele hier in Suedafrika. Die Menschen sind ja nicht von Grund auf boese - das Leben und wie es ihnen mitspielt, macht sie so.
      Undankbar? Ja sicher - aber die Not und die Drogen lassen die Menschen nicht mehr klar denken.

      Meine Kinder sind so erzogen und das ist auch gut so. Das werden keine Weggucker. Keine, die bei einem Unfall oder einem Bewusslosen auf der Strasse weiterlaufen. Das werden Menschen, die anderen helfen und Ihren Mann/Frau stehen. Das geht nicht immer gut - sicherlich. Aber andere Werte kann ich nicht vermitteln.

      Und Nummer 1 und Nummer 2 sind unglaublich stolz. Und das nehm' ich ihnen nicht. Besser als wenn sie Albtraeume davon haetten...

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